Immer öfter ist «Losgrösse 1» gefragt

    Stobag in Muri investiert in Wertschöpfungskette – Kunden sollen direkt auf das Sortiment zugreifen können

    Ein zentrales Element der Digitalisierungsstrategie des Aargauer Storenspezialisten Stobag betrifft den Webshop: Im Zentrum steht die Einführung eines benutzerfreundlichen, integrierten Tools für Online-Bestellungen. Immer öfter sind Einzelanfertigungen – «Losgrösse 1» – gefragt. Das Hightech Zentrum Aargau hat wichtige Schrittmacherdienste geleistet.

    (Bilder: zVg) Produktion in Muri: Von den 700 Mitarbeitenden arbeiten knapp die Hälfte in der Schweiz.

    Die Stobag AG gehört seit Jahren zu den führenden Schweizer Anbietern von massgeschneiderten Sonnen- und Wetterschutzsystemen. Sie beschäftigt rund 700 Mitarbeitende. Davon arbeiten knapp die Hälfte in der Schweiz. Die Produkte werden inhouse entwickelt, an fünf Standorten hergestellt: In der Schweiz (Muri), Deutschland, Ungarn, Brasilien und Nordamerika. Der Vertrieb erfolgt über zertifizierte Fachhändler. Das Segment «Outdoor-Living» ist zwar ein Wachstumsmarkt. Aber der Wettbewerbsdruck ist gross. Auch die mittlerweile 55-jährige Stobag sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, den Einstieg in die Industrie 4.0 zu schaffen: Digitalisierung und Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette, unter anderem mit dem Ziel, die Produktion zu individualisieren. Alain Michel, Chief Executive Officer (CEO) des Unternehmens: «Digitalisierung bedeutet für uns, dass wir die Prozesse mit unseren Vertriebspartnern effizienter gestalten und die Zusammenarbeit vereinfachen können. Zudem gewinnen wir den Zugang zu Endkunden. Diese Beziehung hilft uns, noch bessere Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.»

    Quickstarter 2025 erleichtert Einstieg in Digitalisierung
    Das Hightech Zentrum Aargau (HTZ) hat die Stobag bei der Entwicklung ihrer Digitalisierungsstrategie begleitet und beraten. Für die Implementierung wählte die Stobag das vom HTZ als Partner mitentwickelte Online-Tool «Quickstarter 2025». Bernhard Isenschmid, Technologie- und Innovationsexperte des HTZ: «Mittelständische Schweizer Unternehmen tun sich teilweise schwer damit, den Einstieg in Digitalisierungsprojekte zu finden. Aus diesem Grund wurde die Initiative Industrie 2025 ins Leben gerufen.» Drei Branchenverbände stehen dahinter: Swiss T-net (Swiss Technology Network), Asut (Schweizerischer Verband der Telekommunikation) und Swissmem.

    Ausschliesslich Unikate: Alle Produkte werden kundenspezifisch gefertigt.

    HTZ auch Sparringpartner
    Ein Teil der Initiative ist der seit 2018 angebotene Quickstarter 2025. Dieser bietet KMU einen Leitfaden, um schnell und effizient nutzenstiftende Digitalisierungsprojekte in Unternehmen zu identifizieren. Für den HTZ-Experten Isenschmid ist die Stobag «ein gutes Beispiel dafür, wie der Quickstarter 2025 in der Praxis angewendet werden kann». Dieses Instrument habe geholfen, das Thema Digitalisierung strukturiert anzugehen und auf unterschiedlichen Hierarchiestufen die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Dies, nachdem die Stobag den Digitalisierungsprozess bereits angestossen und viele Ideen erarbeitet hatte. Daniel Fiechter, Chief Information Officer der Stobag AG, ergänzt: «Das HTZ konnte uns als Sparringpartner wichtige Inputs geben und hat Denkanstösse vermittelt.»

    Lösung für 3D-Visualisierung
    Das HTZ wurde von der Stobag AG auch für die Realisierung ihres bisher gewichtigsten Digitalisierungsprojekts beigezogen: Die Entwicklung einer webbasierten Lösung für eine einfache interaktive Kommunikation und Produktkonfiguration im dreidimensionalen Raum sowie für die Bestellungen. Der bestehende Webshop hatte Schwächen. Zwar konnte der Fachhandel einfache Produkte konfigurieren und bestellen. Aber diese Produkte liessen sich nicht direkt visualisieren. Der Wunsch nach Visualisierung betrifft zunehmend auch die anspruchsvollen Einzelanfertigungen, die so genannte Losgrösse 1. Viele Industriefirmen sehen darin einen wichtigen Erfolgsfaktor für die Zukunft. «Losgrösse 1» bedeutet allerdings nicht zwingend, dass ein Produkt vollständig neu entwickelt würde – was zu teuer und zu aufwendig wäre. «Die Produkte werden vielmehr modulartig und mit verschiedenen, abhängigen Parametern konfiguriert», erläutert Fiechter. Zu den Herausforderungen dieses Konzepts gehörten eine durchgängige Datenbasis und eine integrierte Systemlandschaft, damit die Aufträge direkt in die Produktion fliessen können.

    Nachholbedarf bestand bei der Stobag auch darin, dass die verfügbare Online-Applikation hinsichtlich ihrer Oberfläche (Design) und auch der Benutzerführung veraltet war. Nach erfolgter Analyse initiierte HTZ-Experte Isenschmid eine Machbarkeitsstudie. In diese wurde das Institut für Interaktive Technologien der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW einbezogen. Dieses multidisziplinäre Informatikinstitut wurde 2018 gegründet. Es zeigte den Lösungsweg auf und die Machbarkeitsstudie wurde erfolgreich abgeschlossen: Das Projekt legte die Grundlage für einen digitalen Bestellprozess, der durchgängig und effizient ist, der aber auch kundenzentriert sein muss.

    Die grösste Herausforderung besteht in der Heranführung der Kunden an den Konfigurationsprozess. Daniel Fiechter: «Bei der Digitalisierung gewinnt nicht das beste Produkt, sondern jener Anbieter, der dem Kunden den einfachsten Zugang zum Produkt bietet.» Dabei spiele der Konfigurator eine Schlüsselrolle. Im vorliegenden Projekt steht zunächst der Fachhändler im Fokus. In einer späteren Phase soll es der Endkunde sein, der in der Regel nicht über Fach- und Detailwissen verfügt. Stobag-CEO Michel: «Das Projekt mit dem Hightech Zentrum Aargau hilft uns, die Position als Marktführer in der Schweiz weiter auszubauen.» Im September gab der Forschungsfonds Aargau grünes Licht für die Finanzierung einer Folgestudie. Dabei sollen weitere Prozesse einbezogen werden, nicht zuletzt die Automatisierung der Datenaufbereitung.

    Multifunktionale Lösungen: Durchblick trotz Wind- und Sichtschutz.

    Ein spannendes Projekt
    «Unsere Produktpalette ist sehr breit und kann zusätzlich individualisiert werden, zum Beispiel bezüglich Form und Farbe», erklärt Daniel Fiechter, Chief Information Officer der Stobag AG. Er ergänzt: «Dies führt zu einer hohen Komplexität im Bestellprozess. Um diese Komplexität zu verringern und den Prozess zu beschleunigen, haben wir zusammen mit dem Hightech Zentrum Aargau und der Fachhochschule Nordwestschweiz eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie haben wir die Konfiguration und die dreidimensionale Visualisierung vereint. Dies ermöglicht es, die Konfiguration direkt am 3D-Modell anzupassen.»

    Die Stobag AG verfügte nicht über die notwendige Erfahrung im Bereich der dreidimensionalen Nutzerführung «3D UX» (UX steht für «user experience»). Unterstützung leistete das Hightech Zentrum Aargau (HTZ). Bernhard Isenschmid, Technologie- und Innovationsexperte des HTZ: «In einer ersten Phase haben wir die Stobag darin unterstützt, den richtigen Forschungspartner zu identifizieren. In einer zweiten Phase haben wir die gemeinsam lancierte Machbarkeitsstudie begleitet und mitfinanziert.»

    Beim Forschungspartner handelte es sich um das Institut für Interaktive Technologien IIT der Hochschule für Technik der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Professorin Doris Agotai, Leiterin des Instituts IIT: «Die Kooperation mit der Stobag ist für uns äusserst spannend. Wir entwickeln gemeinsam neue, performante 3D-Konfigurationsmethoden. Die geplante Applikation soll die Gestaltung individualisierter Produkte über eine Webplattform ermöglichen. Dafür betrachten wir parametrische Modelle entlang der gesamten CAD-Pipeline und stellen zugleich sicher, dass durch die Nutzerzentrierung das Kundenerlebnis im Zentrum steht. Dies erfordert die Verknüpfung aktuellster Erkenntnisse über 3D-Webtechnologien mit Methoden aus der Gameentwicklung und dem Design.»

    www.hightechzentrum.ch

     

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