«Wir werden unseren digitalen Weg noch weiter ausbauen!»

    Katharina Ammann, Direktorin des Aargauer Kunsthauses, zieht nach rund einem Jahr Bilanz: Trotz Corona ist es ihr und ihrem Team gelungen, drei Ausstellungen zu zeigen, Leute zu vernetzen und eine Betriebsleitung neu zu etablieren. Gerne gibt sie Schweizer und regionalen Kunstschaffenden eine Plattform. Besonders in den Fokus rücken möchte sie im nächsten Jahr die national bedeutende Sammlung mit über 20’000 Werken.

    Seit dem Juli 2020 führen Sie das Aargauer Kunsthaus. Was haben Sie in diesem Jahr erreicht, respektive welche Bilanz können Sie ziehen?
    Katharina Ammann: Wir haben ein herausforderndes und auch durchaus erfolgreiches Jahr hinter uns. Mitten in der Pandemie trat ich im Sommer 2020 die Leitung des Kunsthauses an, das Museum war eben nach der ersten Schliessung wieder neu aufgegangen. Drei Ausstellungen und eine weitere Schliessung später können wir sagen: Das Bedürfnis nach dem Austausch mit und über die Kunst war und ist gross. Das zeigten alle drei Ausstellungen: der junge Künstler Julian Charrière mit seinen monumentalen Eislandschaften und brennenden Brunnen, der aktuelle Themen des Klimawandels und der Ressourcenverschwendung aufgreift; die «Auswahl 20» mit über 50 regionalen Kunstschaffenden und vor allem die Ausstellung «Kosmos Emma Kunz», die zum Thema Kunst und Heilung in der Pandemie einen Nerv traf. Dass wir alle drei Ausstellungen und jetzt auch die laufende zu «Schweizer Skulptur seit 1945» ohne Zwischenfälle und Ansteckungen bewältigen konnten, darauf sind mein Team und ich besonders stolz.

    Sie hatten ein Jahr Zeit sich mit der grossen Sammlung des Kunsthause vertraut zu machen. Wie beurteilen Sie diese und welche Entdeckungen haben Sie gemacht?
    Die Sammlung ist die wichtigste kontinuierliche Sammlung von Kunst, die in der Schweiz seit Mitte des 19. Jh. entstanden ist und bis heute entsteht. Ihren Wert kann man gar nicht unterschätzen. Jedes Jahr machen wir Ankäufe und wir dürfen immer wieder Schenkungen und Dauerleihgaben entgegennehmen. Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses wächst rasant, inzwischen umfasst sie über 20’000 Werke. 2020 ist eine bedeutende Schenkung der Sammlung Ringier dazu gekommen. Das alles in einem einzigen Jahr kennen zu lernen ist unmöglich. So stosse ich dauernd auf weitere Werke und Werkkomplexe, und jede neue Ausstellung bringt neue Entdeckungen mit sich. Bei der gegenwärtigen Ausstellung «Schweizer Skulptur seit 1945» stammt fast ein Drittel der Werke aus unserer Sammlung. Darunter habe ich z.B. Hans Arps Skulptur «Frucht unterwegs» (1965) entdeckt, die mich aufgrund ihrer verführerischen Formen und ihrer absurden Poesie berührt. Die über einen halben Meter hohe Bronzeplastik erinnert tatsächlich an eine undefinierbare Riesenfrucht, die unerklärlicherweise auf zwei Beinchen steht.

    (Bild: Alex Spichale) Katharina Ammann, Direktorin des Aargauer Kunsthauses freut sich, dass wieder mehr direkter Austausch vor Ort möglich ist.

    Wie steht es um das regionale Kunstschaffen, wo haben Sie da Trouvaillen entdeckt?
    Im Herbst 2020 konnte ich die Auswahl 20 als erste Ausstellung kuratieren, die mir einen ersten guten Überblick über das regionale Kunstschaffen im Kanton Aargau und Kontakte zu vielen Kunstschaffenden verschafft hat. Das ist die Ausstellung, in der es viele tolle Künstler und Künstlerinnen aus dem Aargau zu entdecken gibt und aus der wir auch immer Werke ankaufen, wie diesmal von Roman Sonderegger, Rolf Winnewisser, Sadhyo Niederberger und Otto Grimm. Das Kunsthaus ist ebenso wie die Kunst stets mit der Welt verknüpft. Exemplarisch dafür steht die Schenkung des Werks «The Name of Fear» (2020) durch die brasilianische Künstlerin Rivane Neuenschwander. Es entstand für die Ausstellung «Kosmos Emma Kunz», die im Frühling im Kunsthaus zu sehen war. Die Künstlerin hat mit Aarauer Schulklassen Schutzmäntel entworfen und danach mit einem Designer hergestellt. Die Schutzmäntel sollen die Kinder vor ihren Ängsten schützen, etwa Klimawandel, Atomkraft, Zeitdruck oder Mobbing. Die Schülerinnen und Schüler waren somit Mitproduzierende der Exponate und aktiv an der künstlerischen Arbeit beteiligt.

    Neue Direktionen bringen Änderungen. Was hat sich personell, organisatorisch oder sonst noch seit dem letzten Jahr im Aargauer Kunsthaus geändert?
    Die Sammlung und auch die Zahl der Ausstellungen und Veranstaltungen sind in den letzten 10 Jahren stark angewachsen, sie ziehen inzwischen regelmässig bis zu 50’000 Menschen pro Jahr an. Das ist ein grosser Erfolg, der gleichzeitig aber auch hohe Anforderungen an das ganze Team stellt, wenn man dabei den Anspruch hat, Qualität und Quantität Tag für Tag aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund haben wir die Geschäftsleitung verbreitert und gewisse Bereiche neu organisiert. So etablierten wir zum Beispiel neu eine Betriebsleitung und der Bereich Vermittlung/Anlässe wurde auf Geschäftsleitungsebene angesiedelt. Über eine abteilungsübergreifende Programmgruppe steuern und koordinieren wir die gesamten Aktivitäten unseres Hauses. Diese Transformation ist ein gemeinsamer Prozess mit einem grossartigen Team, dessen Kompetenz und Leistungsbereitschaft mich von Anfang an beeindruckt hat und auf das ich stolz bin.

    Eines Ihrer Ziele ist, das Haus als Kompetenzzentrum für Schweizer Kunst weiter zu stärken. Ist das gelungen?
    Wenn sie unsere Einzel-Ausstellungen seit dem Sommer 2020 verfolgt haben, dann haben sie darunter Schweizer Kunstschaffende entdecken können: Julian Charrière und Emma Kunz, Markus Raetz und Sophie Taeuber-Arp sowie eine jüngste Generation mit Martina Mächler, Dominic Michel, Rachele Monti. In der Gruppenausstellung «Schweizer Skulptur seit 1945» finden Sie eine exemplarische Ausstellung, die ein wichtiges Kapitel Schweizer Kunstgeschichte aufarbeitet und in einer Fachtagung mit dem Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich vertieft. Es gelingt schon heute und wird uns weiterhin gelingen, das Kunsthaus als Kompetenzzentrum für die Kunst aus der Schweiz zu positionieren.

    Die Pandemie hat auch Ihr Haus für einige Wochen zum Stillstand gebracht. Wie haben Sie Corona erlebt und was waren die grössten Herausforderungen?
    Die grösste Herausforderung war die Unplanbarkeit der Ereignisse. Teilweise im Wochentakt wurden neue Leitlinien und Schutzmassnahmen von den Behörden herausgegeben, die es teilweise verunmöglichten, Vorhaben wie geplant umzusetzen. So waren wir gezwungen stets in Szenarien zu denken, diese auszuarbeiten, viele nach dem nächsten Entscheid wieder zu verwerfen. Zu meinen, dass bei der Schliessung eines Museums hinter den Kulissen die Füsse hoch gelagert werden können, wäre ein grosser Irrtum. Das Gute daran: wir haben gelernt zu improvisieren und flexibler zu agieren. Aber wir freuen uns natürlich auch über eine gewisse Verbindlichkeit, die nun zurück zu kehren scheint.

    Einer Ihrer Leidenschaften ist, Leute zusammenzubringen und zu vernetzen. Ist dies trotz Corona gelungen?
    Ja, das haben nicht nur die anhaltenden Besuche im Museum selber gezeigt – das machten auch digitale Angebote wie zum Beispiel der Online-Vortrag von Thomas Hirschhorn zum Thema «Kunst heilt», klar. Es haben bis zu 250 Personen an diesem digitalen Vortrag mit anschliessender Diskussion teilgenommen. Aber selbstverständlich habe nicht nur ich auch die Lesung mit Autor Lukas Hartmann aus seinem Buch «Schattentanz» sehr genossen, die wir dann wieder vor Ort durchführen konnten.

    Corona löste einen digitalen Schub aus. Kommt ihre digitale Kompetenz Ihnen da zugute respektive wird das Angebot nun noch digitaler?
    Es stimmt, dass die Schliessung des Kunsthauses einen digitalen Schub innerhalb des Teams ausgelöst hat – es gab virtuelle Rundgänge, Live Online-Workshops – gestreamte Veranstaltungen und vieles mehr. Unsere digitale Strategie wurde aber bereits vor dieser Zeit festgemacht und wir gehen gerade mit den «Magischen Fenstern» – einem neuen Rundgang durch die Sammlung – in die nächste Phase und testen, was Augmented Reality an einem Kunsthaus leisten kann und wie es beim Publikum ankommt. Das Interesse an diesen neuen, spielerischen Formen der Vermittlung ist hoch. Wir werden unseren digitalen Weg noch weiter ausbauen: Die Sammlung Online wird stetig erweitert. Neue Zugänge zur Sammlung sind in der Umsetzungsphase und das Format «Sammlung Aargauer Kunsthaus – DIY!» wird so erweitert, damit jeder und jede zu Hause am Bildschirm die Aargauer Kunsthaus Sammlung kuratieren und im virtuellen Ausstellungsraum selber installieren kann.

    Wie sieht das diesjährige Jahresthema aus und was ist für nächstes Jahr geplant?
    «Art As Connection» – «Kunst als Verbindung» bleibt unser Jahresthema. Obwohl oder gerade, weil wir uns zur Pandemiebekämpfung in die Vereinzelung und soziale Isolation begeben mussten, wurde deutlich, dass wir auf verschiedenen Ebenen in enger Verbindung zueinanderstehen und eine solche Krise nur gemeinschaftlich bewältigen können. Kunst bietet uns die Möglichkeit, solche Beziehungen zu schaffen. Das kuratorische Team des Aargauer Kunsthauses entwickelt diese Ausstellung in einer bewusst kollektiv und offen angelegten Auseinandersetzung mit den eingeladenen Kunstschaffenden. Mit wenigen Ausnahmen beziehen diese wiederum weitere Protagonist/innen mit ein und setzen auch untereinander stark auf die Arbeit in Beziehungsnetzen.

    Welche grösseren Projekte plant das Aargauer Kunsthaus?
    Nächstes Jahr steht im Zeichen der Sammlung, die wir aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, um allzu lineare und normative kunsthistorische Narrative zu hinterfragen. Über queere und feministische Neubewertungen und über den Blick auf die inhaltlichen Schwerpunktverschiebungen, die wichtige Neuzugänge in unserer Sammlung bewirken, gipfelt das Jahr in einer neuen Publikation zur Sammlung. Da die letzte Sammlungspublikation 2003 erschienen ist, arbeiten wir mit besonders grosser Freude und Hochdruck darauf hin.

    Interview: Corinne Remund


    ZUR PERSON: Die Kunsthistorikerin Katharina Ammann ist seit Juli 2020 die neue Direktorin des Aargauer Kunsthauses. Sie studierte Kunstgeschichte und Englische Literatur an den Universitäten Genf und Oxford und schrieb ihre Dissertation über Videokunst schrieb sie an der Universität Bern und am ZKM in Karlsruhe als Stipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds. Ihre berufliche Laufbahn begann als wissenschaftliche Assistentin am Kunstmuseum Solothurn. Während sieben Jahren war sie als Kuratorin am Bündner Kunstmuseum Chur tätig und von 2015 bis 2020 leitete sie als Mitglied der Institutsleitung die Abteilung Kunstgeschichte des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) in Zürich. Katharina Ammann lebt mit Ihrem Mann in Zürich.

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